Aktuelles
Internationale Tagung: Transformation of Traditions through Interreligious Encounters
Vom 23.-25. Juni fand in Berlin die internationale Auftaktkonferenz vomn CITRS statt. An drei Tagen diskutierten Wissenschaftler:innen aus jüdischer, christlicher und islamischer Theologie, der Soziologie, der Geschichtswissenschaft und der Bildungsforschung über die Verflechtungen und Interdependenzen verschiedener religiöser Traditionen. Ausgangspunkt war die These, dass Religionen sich in einer vernetzten Weltgesellschaft durch ständiges sich ins Verhältnis zueinander Setzen weiterentwickeln, verändern und neu bzw. re-definieren. Das geschieht in konstruktiven Interaktionen wie in konfliktiven Abgrenzungsdynamiken. Keine Religion ist unbeeinflusst von anderen religiösen Traditionen und Weltanschauungen.
Interreligiöse Verflechtungen sind in den letzten Jahren zu einem wichtigen Thema von Theologie und Religionswissenschaft wie auch einer Vielzahl anderer Wissenschaften geworden. Besonders groß – das zeigte sich einmal mehr an diesen drei Tagen – ist der Erkenntnisfortschritt jedoch durch den Austausch und das Ringen verschiedener Perspektiven miteinander. Im Rahmen dieser Konferenz kamen deshalb Forscher:innen aus sechs Ländern zu einem Austausch über disziplinäre und religiöse/theologische Grenzen hinweg zusammen, um gemeinsam die Wechselwirkungen der verschiedenen religiösen Traditionen, ihrer Praktiken und ihrer theologischen Konzeptionen auszuloten.
Dabei kamen exegetische Fragestellungen ebenso in den Blick wie (interreligiöse) rituelle Praktiken, Formen des religionenverbindenden Lernens und religionsverbindendem politischen Aktivismus.
Den Auftakt machte am Sonntagabend Karen Barkey (Bard College) mit einer Key Note, die aus religionssoziologischer Perspektive am Beispiel des Osmanischen Reichs ins Forschungsfeld einführte. Beim ersten Panel am Montagvormittag ging es um die Frage, wie religiöse Traditionen im interreligiösen Diskurs transformiert werden. In einem ersten Tandem wurden soziologische und systematisch-theologische Perspektiven verschränkt. Auf der Basis mehrerer ethnographischer Forschungsprojekte führte Grace Yukich (University of Quinnipiac) aus, wie “race” in Kontexten interreligiösen Engagements in den Vereinigten Staaten einerseits als formativer Faktor wirkt und andererseits explizit ausgehandelt wird. Während der Fokus bei Yukich auf gesellschaftspolitischem Aktivismus lag, wandte sich Felix Körner (HU Berlin) dem christlich-islamischem Dialog auf der Ebene der akademischen Theologie zu. Er zeichnete zunächst Konturen der dafür ausschlaggebenden universitätspolitischen Konstellation nach, um vor diesem Hintergrund Perspektiven einer transformativen Hermeneutik zu entwerfen. In der zweiten Vormittagseinheit kamen zwei aktuelle Ansätze einer interreligiösen Theologie ins Gespräch: Klaus von Stosch (Universität Bonn) demonstrierte die Potenziale des von ihm maßgeblich weiterentwickelten Ansatzes einer komparativen Theologie am Beispiel der Trinitätslehre, die er in konstruktiver Auseinandersetzung mit der Trinitätslehre gedanklich explizierte. Korrespondierend dazu stellte Mira Sievers (Universität Hamburg) den von ihr mit konzipierten Zugang einer Intertheologie zur Anwendung.
Am Montagnachmittag standen exegetische Perspektiven im Vordergrund. David Stern untersuchte die interreligiösen Verbindungen zwischen Manuskripttraditionen und veranschaulichte, wie die physischen Merkmale biblischer Manuskripte deren Interpretation beeinflussen. Konrad Schmid (Universität Zürich) zeichnete die Entwicklung der historisch-kritischen Analyse des Pentateuch nach und betonte den Zusammenhang zwischen den religiösen Hintergründen der Gelehrten und ihren wissenschaftlichen Hypothesen. Marcia Pally (NYU) plädierte für „reciprocal illumination“, einen interreligiösen Ansatz in der Theologie, der sich aus verschiedenen Traditionen speist, um das Verständnis zu vertiefen. Nimet Şekers (HU Berlin) Präsentation zu abrahamitischen Texttraditionen und der koranischen Maria im Koran wurde aufgrund von Krankheit abgesagt.
Im anschließenden Panel rückte Bildung als transformativ angelegte Praxis in den Fokus. Zvi Bekerman (Hebrew University of Jerusalem) und Silke Radosh-Hinder (Universität Basel) gewährten ethnografisch gestützte Einblicke in zwei komplexe Kontexte formaler Bildung mit weitreichenden inklusiven Aspirationen. Erschlossen und diskutiert wurden zum einen inklusive Bildungspraktiken an Schulen für palästinensisch-arabische und jüdische Kinder in Israel und zum anderen die Konstitutionsdiskurse bei der Gründung eines Drei-Religionen-KiTa in Berlin-Friedrichshain.
Den Abschluss bildete ein Panel zu intertheologischen Verbindungen im rituellen Bereich. Moshe Blidstein führte uns anhand des Motivs des ewigen Feuers durch die religionsübergreifenden Bedeutungen des Feuers in religiösen Ritualen. Ruth Conrad und Hannah Miethner (HU Berlin) gaben anhand einer aktuellen Publikation Einblick in Ihre Forschung zu evangelischen und islamischen Predigtpraktiken. Ann Kathrin Gässlein (Universität Luzern) fokussierte sich schließlich auf die verschiedenen Formen interreligiöser bzw. religionsverbindender Feiern in der Schweiz und zeigte dabei auch die vielfältigen Interdependenzen auf.
Am Ende der drei Tage war allen Beteiligten klar: Das Zu- und Ineinander religiöser Traditionen ist derart komplex und dynamisch, dass es nur im interdisziplinären und interreligiösen Gespräch adäquat bearbeitet werden kann. So war diese Tagung auch im wahrsten Sinne ein Auftakt für all die gemeinsame Forschung, die hier in Zukunft noch zu tun bleibt.
Asher Biemann hält die erste Berlin Lecture on Traditions in Transformation
Ist das Sprechen vom Ewigen nicht schon längst antiquiert und obsolet? Eine „jugendliche Unart der Metaphysik“ (A. Lovejoy)? Mit diesen Infragestellungen der Ewigkeitsideebegann Asher Biemann seine Vorlesung zur „UnzeitgemäßenAktualität der Ewigkeit im modernen jüdischen Denken“. Unter diesem Titel fand am 12. Juni 2024 die erste Berlin Lecture on Traditions in Transformation statt. Gehalten wurde sie von Asher Biemann, Professor für moderne jüdische Philosophie an der University of Virginia, USA, der im Sommer 2024 als Scholar in Residence am CITRS forscht.
Dass die Idee des Ewigen keinesfalls der Vergangenheit angehört, sondern heute aktueller denn je seine Wirkung entfaltet, zeigte der Vortragende im weiteren Verlauf mit einer Tour d’Horizont jüdischer Philosophie. Dabei spannte er den Bogen vom Motiv des „ewigen Juden“ über die Idee des „ewigen Volkes“ hinein in die Vorstellungen von Ewigkeit des 20. Jahrhunderts. Dabei wurde deutlich welche ethische Aufladung das Nicht-Sterben-Können bzw. das „Verweilenmüssen“ (M. Susman) bekommt, zumal in Hermann Cohens Verständnis der Ewigkeit als ewige Aufgabe bzw. Arbeit. In einem Feuerwerk aus zahlreichen Bezügen in die Schriften ganz unterschiedlicher Autor:innen führte Asher Bieman dabei deutlich vor Augen, wie sehr auch heute noch die unterschiedlichen starken und schwachen Ewigkeiten unser Verständnis vom Menschen und seiner Aufgabe, von Zeit und Welt prägen.
Eine Zusammenfassung des Vortrags können Sie auf feinschwarz.net nachlesen.
Book Talk „Eine politische Theologie der Freiheit“
Liberale Demokratien sind in die Defensive geraten. Die historisch gewachsenen
Ressourcen zur Stabilisierung eines politischen Gemeinwesens sind erschöpft. Ebenso hat die Erwartung abgenommen, dass die christlichen Kirchen hier Impulse setzen können. Welchen Beitrag können sie für die in die Krise geratenen liberalen Demokratien noch leisten? Georg Essen vertritt die These, dass Religionen produktiv mitwirken müssen an der Stärkung des Freiheitsbewusstseins der Staatsbürgerinnen und -bürger, von dem Wohl und Wehe der liberalen Demokratie abhängen. Dies hat zur Konsequenz, dass die Christentümer sich in der demokratischen Öffentlichkeit nur Glaubwürdigkeit verschaffen können, wenn sie in ihrer gläubigen, kirchlich vermittelten Praxis Gott als Garanten menschlicher Freiheit verkündigen und bezeugen.
Prof. Dr. Georg Essen (HU Berlin, Institut für kath. Theologie) im
Gespräch mit Prof. Dr. Christoph Möllers (HU Berlin, Juristische Fakultät)
Moderation: Dr. Gesine Palmer (Katholische Akademie in Berlin)
Interreligiöses Werkstattgespräch „Missbrauch geistlicher Autorität“
Die Formen, die spiritueller Missbrauch und Manipulation annehmen, sind vielfältig; und sie sind kein Spezifikum einer bestimmten Religionsgemeinschaft. Deshalb haben sich Wissenschaftler:innen, Verantwortliche aus den Religionsgemeinschaften und Betroffene im Rahmen des Werkstattgesprächs aus interreligiöser Perspektive mit diesem Problemfeld beschäftigt. Neben der Frage, was unter Missbrauch geistlicher Autorität aus der Sicht verschiedener Konfessionen und Religionen verstanden wird, stand eine vertiefte Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ebenen, auf denen geistlicher Missbrauch stattfindet, im Fokus: Welche organisationalen Strukturen begünstigen und welche verhindern Missbrauch geistlicher Autorität? Gibt es typische Profile von Täter:innen und Opfern? Welche theologischen Haltungen, Überzeugungen und welche religiöse Sprache begünstigen oder verhindern Missbrauch geistlicher Autorität? Führende Forscher:innen – unter ihnen Prof. Dr. Ute Leimgruber, Dr. Kathrin Klausing und Dr. Martina Kessler – legten in kurzen Vorträgen die Basis für das gemeinsame Gespräch. Abschließend wurden aus interreligiöser Perspektive Konsequenzen für Gemeinden, Gläubige und Theologie-Treibende ausgelotet. Die angeregte Diskussion und die unterschiedlichen Positionen zeigten, dass zum einen die interreligiöse wie interprofessionelle Zusammenarbeit bei der Aufarbeitung wie bei der Entwicklung von Präventionskonzepten hilfreich ist. Zum anderen wurde an dem Tag deutlich, dass dieses Problem alle Beteiligten wohl noch länger beschäftigen wird und muss.
Störung hat Vorrang! Christliche Antisemitismuskritik als religionspädagogische Praxis
Am 5. Februar 2024 war Dr. Christian Staffa – Studienleiter an der Evangelischen Akademie zu Berlin und Initiator zahlreicher Projekte und Netzwerke im Feld des jüdisch-christlichen Dialogs und der antisemitismuskritischen Arbeit – zu Gast bei CITRS mit einem Workshop zum Thema „Störung hat Vorrang! Christliche Antisemitismuskritik als religionspädagogische Praxis“. In mehreren Durchgängen setzten sich die Teilnehmer:innen mit antisemitischen Inhalten in Schulbüchern für den christlichen Religionsunterricht auseinander. Zumeist unintendiert beinhalteten die Unterrichtsmaterialien über Jahrhunderte hinweg tradierte Bilder des „Anderen“, Dualismen in der Selbstbeschreibung des Christentums sowie Vorstellungen, die in der Konsequenz anschlussfähig sind für säkulare Judenfeindschaft. Konkret befasst sich die teilnehmenden Student:innen, Lehrkräfte und Dozent:innen befassten sich u.a. mit Verschwörungselementen in der Passionsgeschichte oder einem Schaubild des Stammbaums, auf dem das Christentum weit verästelt und vital aus einem kümmerlichen Ast herauswächst, der das Judentum darstellen soll. Ziel des Workshops war nicht nur die Sensibilisierung für antisemitische Stereotypen und deren Dekonstruktion. Im Vordergrund stand darüber hinaus das Motto „anders erzählen!“ und die Frage, wie christliche Narrative aus antisemitismuskritischer Perspektive neu und anders erzählt werden können.